Unfrisierte Gedanken

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Unfrisierte Gedanken als Vorbereitung zum Schreiben

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Hier die Abschrift von einer Fotokopie aus Podehls Archiv, die mit sehr vielen begeisterten Randbemerkungen und kleinen kritischen Äußerungen und Bedenken von Armin Maiwald versehen ist.

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Peter Podehl

7. April 1980

Unfrisierte Gedanken als Vorbereitung zum Schreiben von Folge 

AUFRÄUMEN

HALLO SPENCER ’80

“Die Ordnung ist die Lust der Vernunft, aber die Unordnung ist die Wonne der Phantasie”
Paul Claudel

“Die Gefahr, dass das Kind aufräumt, statt Unordnung zu machen …”
Wolfdietrich Schnurre

Die “Moralitäten” bei Ordnung, Unordnung, Aufräumen müssen genau bedacht werden. Jedes Ding hat seine zwei Seiten. O nein, viel mehr!

Ich versuche im Folgenden mal, einzelne Figuren auf ihr Verhältnis zum Aufräumen abzuklopfen. Dabei wird natürlich auch ein Haufen Grundsätzliches über Figuren und Environments zutage treten. Ich gehe auch immer wieder auf die beiden Unterlagen aus Hamburg vom 28.1.80 und 7 Seiten als Anlage zum Brief von W.D. vom 3.3.80 ein. 

Auf das Unfrisierte solcher mehr Selbstgespräche sei noch einmal hingewiesen. Wider- und Zuspruch erbeten, sowie alles Ergänzende, Weiterführende, auch “Ja, aber – ” kann manchmal gut sein.

Spencer
will immer aufräumen, aber er kann es nicht, sonst würde er nicht immer aufräumen. (Merke: Wer dauernd aufräumt, räumt nicht auf, denn er erreicht das Ziel des Aufräumens nicht: Ordnung, die weiteres Aufräumen überflüssig machte. Merke: Ordnung ist ein menschliches Problem und hat nichts mit Zeithaben oder anderer Mangelware zu tun.)

Spencer hat mentale Schwächen, wie sie ein Moderator eigentlich niemals haben  dürfte. Aber ist es nicht eigentlich merkwürdig, wie wenig wir von seinen guten Seiten reden? Er hat Show-Talent, er hat viel drive, Liebe, Freude, Biss, Pfiff, Witz (“Zieht die Bademäntel aus – ich bin der Weihnachtsmann!”) war zwar von Achim, aber ganz und gar spencerisch. Überhaupt merke: In den Trailern, wo wir für die Sendung werben wollten, haben wir ihn eigentlich besser behandelt. Weitere Spencer-Positiva: er ist – einmal auf der richtigen Spur – ein Auswerter, Ausbeuter, Ausschlachter, er hat einen überproportional guten Willen. Und vielleicht leitet die Überproportionalität dieses Willens zu den Schwächen.

Zu viel guter Wille schießt immer über das Ziel hinaus, zu viel Drive ist für den Driver eher lästig, führt zu Unfällen. Da hilft nur mentale Steuerung, genauer, wenn sie zu gering ist, gibt es eben Unfälle. (Merke: eigentlich nicht Pannen, deren Auftreten von imponderabilen Umständen und Instrumenten abhängen; Spencers Ausfälle sind zumeist selbstverschuldet aus obigen Gründen.)

Prämisse: Spencer will die schönste, beste, eleganteste, erfolgreichste, kindergerechteste, schmissigste Sendung fahren (driver), die sich überhaupt nur vorstellen lässt, er will zehn Sendungen fahren, auf die alle diese Superlative ebenfalls zutreffen, eine besser als die andere, auch wenn das grammatikalische Schwierigkeiten macht, denn im Superlativ steht etwas recht Singuläres. Ihm steht ein hervorragendes Instrumentarium, Bestiarium, Pupparium, Kinderarium (alle unsere Puppen sind doch eigentlich  Kinder) zur Verfügung, das uns und ihn nicht enttäuscht, zur Illustration seiner Thesen und Themen.

Mag sein, dass ich mit dem Wort “Illustration” ins Redakteur-Fettnäpfchen getreten bin. But I mean it. Spencer gibt vor: Heute Aufräumen – drei – vier – und … (Merke: Die Fixierung auf ein Thema unterscheidet die Sendung von Allerwelts-Kinder-Magazinen, von denen uns in den nächsten Jahren vermutlich Legionen ins Haus stehen werden; sie ist zudem pädagogische Labsal, Wohltat.) Und natürlich sind nun unsere Szenen personifizierte, dramatisierte Thesen, Antithesen, dialektische Purzelbäume, zum Beispiel: permanentes Aufräumen setzt permanente Unordnung voraus und schafft sie zugleich. (Kasimir, ick hör dir jaulen!) Dass diese Themen nicht trocken abgehandelt werden, da sei unser aller Kreativität vor. Das meinte ich mit Illustration. Ich achte die mögliche Gefahr, dass nun die Szenen wie gestelltes oder gar gestelztes Theater wirken könnten, gering; nach unserer Erfahrung ’79 spricht nichts dafür, brisante, brillante, nachdenkliche Szenen tilgen diese Gefahr. Ich hoffe, dass auch das im Folgenden zum Dramatischen Geäußerte sie nicht heraufbeschwört. 

Von W.D.’s Ahnenforschung bezüglich Spencer behagt mir eigentlich nur die Annahme, dass er ein Einzelkind war. Aber auch die führt mich nicht auf eine besonders fette Weide. Für mich ist seine etwaige Lou-van-Burg-Vergangenheit sehr irrelevant und mit der Telefon-Mutter kann ich schon gar nichts anfangen. Wozu so’n akustisches Abstraktum? Wo wir von Teufelchen über lauter Irdische bis zu Galaktika so viel Optika parat haben? Nein, ab mit ihr in den Hörfunk!

Nun fragen wir uns mal ganz konkret, was es bei Spencer aufzuräumen gäbe, und stoßen auf diese blöden Filmbüchsen. Ein Relikt, eine Antiquität aus Zeiten, in denen noch Hühnerlibido- und ähnliche Scherz-Filmchen von außen zugeliefert wurden. Ich gestehe zwischendurch, dass ich auch mit den Schnecken meine Schwierigkeiten hatte, sie auch wenig kindertauglich fand (und schlecht synchronisiert); aber mag sein, dass ich da schief liege. Wie dem auch sei: wozu Filmbüchsen?

Spencer hat seine Damen und Herren Puppen auf Fingerschnippen bereit (oder nicht bereit); bezeichnenderweise wollen wir ihn ja wohl alle nicht mehr “Schnitt” sagen lassen. Gut so: Dies ist ja auch aus der Filmwelt so ein Relikt. Spencers Präsenthaben ist eben kein Film, kein Zuspielteil, so wenig, wie Spencers Telefon mit den Telefonen der Bundespost etwas gemeinsam hat. (Wo kämen wir hin, wenn einer die A.P. anruft und nach Geld oder Terminen fragt und sie antwortet einfach so sichtbar, hörbar aus ihrer neuen Küche beim Rühreiermachen? (Es gibt kaum Menschen, die Rühreier sagen, es wird meistens der Viersilber “Rüaeier” daraus, im Gegensatz zum Dreisilber Abendbrot, der fast immer zum Zweisilber “Ambrot” verkommt. Aber bei “Rüaeier zum Ambrot” sorgt dann das Bundessilbenausgleichsamt für eine ausgewogene Statistik, aber dies nur nebenbei. Zwei Klammern zu:))

Spencer Fingerschnippen ist Magie, Zauber, selbstverständliche Zeichengebung in der Hallo-Spencer-Kommune. (Ich muss bei dieser Ansammlung von Individuen immer irgendwie an Worpswede denken.) Da brauchts keine Filmbüchsen.

Aber wenn sie weg, was da hin? Da ich, wie gesagt, seine Vergangenheit für uninteressant halte, sind mir auch Vergangenheitstrophäen wenig einleuchtend. Am einleuchtendsten wären mir momentan Texte, Manuskripte, Zettel, Schnellhefter, Steckbretter, Pinwände mit den Bildern aller seiner Liebsten und vielleicht dieses und jenes Requisit aus anderen Sendungen. W.D.’s Rohrpost finde ich gut, vielleicht gleich noch’n Fernschreiber dazu – müssen aber genützt werden. Mit Spencers Sessel habe ich übrigens weniger Mühe. Tatsache ist allerdings, dass der Sitzeindruck nie präzise rauskam, ebensowenig gabs demgegenüber einen Steheindruck, wahrscheinlich zu viel verlangt, von solchen Puppen?

Ich spinne jetzt mal los: Spencer begrüßt seine Zuschauer mit der vorzüglichen A.M.-Formel und beginnt dann eine Suada über Aufräumen, Ordnung Machen, Unordnung, innere und äußere Zeitersparnis, mit der der Ordentliche rechnen kann… Er hat sich auch alles, was er für die heutige Sendung braucht, ordentlich auf einen Zettel geschrieben. Als er ihn jedoch ein erstes Mal benutzt, sagt er zusammenhanglos: “Gute Nacht, liebe Kinder”!  Es ertönt zugleich eine kräftige Sandmännchenmusik, die er nur mit Mühe abmurksen kann.

Spencer hat den falschen Zettel erwischt und muss den richtigen suchen. Nun wird die Piccobello Aufgeräumtheit seines Studios als fahle Tünche entlarvt: sobald er nämlich irgendein aktenschrankähnliches Behältnis aufschließt, quillt ihm die größte Unordnung entgegen. Säuberlich gestapelte Manuskripte müssen umgeschmissen werden, weil sie nicht der Nummerierung nach gestapelt sind, Steckbretter werden einfach auf den Kopf gestellt, sodass sämtliche Zettel flattern.

Vermutlich findet er am Ende der Sendung, wenn das Studio nur noch ein wüster Haufe ist, den richtige Zettel. 

Mir hat die Idee eines länglichen Studios eigentlich gut gefallen, vorne das Ansagepult, in der Tiefe die Tür. Wie, wenn er rechts und links so eine Art String-Wände hätte, Raumteiler, mit verschiedenen Kästen, Kasten, Behältnissen (usw., siehe oben), an denen die Kamera außen vom Pult zur Tür oder umgekehrt lang fahren könnte (schööööne Vordergründe, dito Hintergründe, wenn die Kamera mal sozusagen innen fährt)? Hier ließe sich auch eine natürlichere, genauer: realistische Spielleiste herstellen. Und da könnten auch letzte Filmbüchsen stehen. Ringsum ist alles dunkel abgehangen. Das wäre jedenfalls günstige Aufräumdekoration – wie weit sie für andere Themen ebenso günstig wäre, sei dahin gestellt. Aber im Augenblick macht mir das einen recht universal brauchbaren Eindruck. 

Mit einiger Mühe jedenfalls schafft es Spencer bis zum ersten Fingerschnippen, auch ohne, trotz manchen Wühlens, den richtigen Zettel zu finden. 

Nun stelle ich mir vor, dass alle Szenen damit enden, dass alles Volk sagt, es müsse zu Spencer, um ihm beim Aufräumen zu helfen. Natürlich sind das variantenreichste Enden! Sein Studio wird also von Moderation zu Moderation voller und – unaufgeräumter. Naheliegende Pointe wäre, dass er den Zettel am Schluss fände, den er am Anfang gebraucht hätte. Aber es kann sein, dass uns da etwas weniger Naheliegendes, dafür Lustigeres einfällt.   

Für mich ist diese Zettelei eine klassische Spencer-Situation: Alles in bester Ordnung, alles vorbereitet, nichts kann schiefgehen. Nur der falsche Zettel. In diesem Nur lauert das berühmt-berüchtigte Chaos. 

W.D.’s Idee mit dem Zuschauerbrief in jeder Sendung scheint mir trächtig, der sollte per Rohrpost in seine besten Text klackern.

Elvis
braucht nie aufzuräumen, weil er immer Ordnung hat. Das finden alle anderen. Er findet, dass es stets etwas aufzuräumen gilt. Was er für Unordnung hält, ist in den Augen der meisten tadellose Ordnung. Er sagt: “Ich muss das aufräumen!” Und die anderen – auch die Zuschauer fragen: “Was? Wo?”

Erstmal aber was ganz anderes, grundlegend Wichtiges: Wer oder was ist Elvis denn nun? Seinen Tod als Kameramann beweine ich nicht, ich bin meist für inside out. Aber Kakteenliebhaber, das ist nicht abendfüllend. Mir gefiel der Schrankenwärter zunächst einmal gut.  Aber vielleicht wäre er auch nicht schlecht in einem “Vorzimmer” von Spencer. Das Wort steht in Anführungszeichen, damit soll eine Art Funktion ausgedrückt werden, sowas wie Schrankenwärter-Vorzimmer. Es ist ja merkwürdig, dass Elvis immer wieder an Spencers Seite gedrückt wird. Er hat auch sowas irgendwie Assistentiges. Könnte er nicht vor Spencers Tür sitzen oder stehen (wo er auch seine Kakteen haben könnte) als Sekretär-Aufnahmeleiter-Mitarbeiter? Über die genaue Bezeichnung, auch  nach außen hin, also in den Texten, wäre nachzudenken. Natürlich auch hier Insider-Dramaturgie vermeiden. (Das meinte ich oben mit dem vielleicht nicht allgemein verständlichen “inside out”.

Spencer könnte ihn um Rat fragen, ihn ausschimpfen, loben, einspannen. Elvis könnte Spencer auf Fehler hinweisen, ihn auch mal auf seine Weise ausschimpfen (übernähme dann die Funktion dieser Telefon-Mutter), Besucher anmelden, oder abwimmeln oder rausschmeißen helfen. Übrigens ruhig entfernte Ähnlichkeit mit Kulis Butler Jane. 

Übrigens übrigens eine nicht seltene Freundschaftskonstellation: der etwas hohlköpfige Tatknabe und der etwas tatscheue Kopfknabe. Hier wäre jedenfalls Schauplatz und Funktion für Elvis. Ob wir sie nehmen, sei dahingestellt. Aber etwas dergleichen müssen wir für ihn finden. Er würde das Requisit, das der Zuschauerbrief erfordert, anschleppen. (W.D.’s Heu-Metapher ist mir undurchsichtig geblieben.)

Übrigens, übrigens, übrigens: Sone ordentlichen Typen wie Elvis sollte man nach unordentlichen Mistecken im mehr seelischen, mehr nächtlichen, mehr unterbewussten Bereich abklopfen. Könnte sein, dass es da viel aufzuräumen gäbe. 

*Stehende Redensart: “Nu mal ernsthaft, nu mal ernsthaft!”

(Quietschbeus: “Nu mal spaßhaft, nu mal spaßhaft!”)

Elvis steht vor seiner tadellos aufgeräumten Szenerie und meint, hier müsse mal aufgeräumt werden: zwei nicht ordentlich aufeinander liegende Blätter sind für ihn “unordentlich”.

Poldi
räumt auf durch Fressen, genauer: möchte aufräumen durch Fressen.

Das fällt einem zuerst ein. Aber dann stutzt man (ich) etwas: Vielleicht kann Poldi noch eine ganze Weile mit “Ich will dir fressen” eine Ausgangsposition bestimmen. Bei den Zwillingen zum Beispiel müsste sich da manches machen lassen. Ich glaube aber, dass er auf die Dauer schon noch einige Motivationen dazubekommen muss. Fressansprüche an Lexi, Elvis, Nepi, sind eigentlich nicht mehr zu stellen. Er ist ja, wenn ich das richtig verstanden habe, bei den Kindern bestens angekommen. Was mag denn da als so gut empfunden worden sein? Die Bezeichnung “Idealtyp” sagt mir da ein bisschen wenig. Poldi hat viel Initiative, immer recht genaue (Fress-)Vorstellungen, und scheitert doch eigentlich immer. Scheitern ist nur teilweise richtig. Oft bleibt er ja Sieger bei reduzierter Wunscherfüllung: Magen-Füllung, wenn auch nicht mit dem, den (!)  er fressen wollte. Ich würde ihn naiver nennen als Kasi, von keiner Gedankens Blässe angekränkelt. Ist Kasi underdog, dann ist Poldi jedenfalls over!

Merkwürdig ist mir sein Erfolg auch ein wenig insofern, als seine Schule immer nur als Bericht “vorkam”; desgleichen merkwürdig, als sein Zuhause, diese karge karge Höhle so gar nicht anheimelnd ist. Aber all das überspielt wohl die vorzügliche Darstellung. Umso mehr sollte man sich Gedanken machen über eine angemessene Heimat. 

Dies um so mehr (Einmal schreibt er Um-so-mehr zusammen, einmal getrennt, wat denn nu? Duden-Kucken war mit zu lästig, auswendig weiß ichs nicht.), als ich nicht weiß, in welchem Zuhause ich Poldi eine nicht lineare Postkarte schreiben lassen möchte an Kasi. Das Nicht-Lineare ist Poldi natürlich gar nicht bewusst, er findet es schön so:

Um eine solche “unaufgeräumte” Postkarte, wie Lexi sie nennen wird, zu schreiben, braucht Poldi ein Zuhause. Ich sehe ihn, mit der Kamera von oben über seine Schulter, an diesem Elaborat basteltüfteln. Er macht bei der Adresse, die er ansonst ordentlich schreibt, Postleitzahlenquatsch.

Kasimir
Seine Kastanienwohnung hat mir nicht gefallen. Dieses Stachelige, mit der mechanischen Tür, von der Größe eines Baumstammes, das nie oder nur schwer als Kastanie identifiziert wurde. Ich plädiere für ein phantasievolleres Haus, auf einem Baum, aus nicht ganz realistischen Brettern, wie es sich privilegiertere Kinder bauen (privilegiert, weil deren Eltern einen Garten haben und sie nicht in Wohnmaschinen aufwachsen müssen) mit Briefkasten und Klingel und so weiter. Solche Behausung ist – entschuldigt dies harte Wort in der Hast – sehr kindertümlich. Die Strickleiter war ganz schön, die könnte bleiben – und wäre vielleicht für mein Aufräumthema reizvoll, wenn sie verknotet wäre: “Ich muss mein Treppenhaus aufräumen!”

Kasi bekommt beim Aufräumen nun diese nicht lineare Postkarte von Poldi, deren Unentzifferbarkeit ihn in größte Panik versetzt, denn deren Inhalt könnte sich ja auf gefährliche Dinge beziehen, auf zu Erledigendes, das, würde es nicht erledigt, katastrophale Folgen haben könnte.

Kasi läuft mit der Karte zu Nepomuk, der die Karte ästhetisch reizvoll findet, an seinem Sinn jedoch desinteressiert ist, auch nicht an einen solchen glaubt – “Der Poldi war schon immer ein bisschen hirnrissig!!”  Vielleicht läuft Kasi noch zu anderen. Aber erst Lexi wird ihm die Wörter aufräumen. 

Mir fällt der Kasi-Grundsatz ein: “Ich hilfe immer allen, aber mir helft keiner!”

Oder Kasi wäre, was gut zu ihm passen würde, der Briefträger der Kommune und ist völlig verdattert, die Karte zu kriegen, und dann sehr unglücklich, dass er sie trotz Lesenkönnen nicht lesen kann. 

Wenn ihm Lexi den Karteninhalt “.. mir geht es gut, Wie geht es Dir?…” sortiert wird, geht Kasi zu Poldi und sagt “Gut” und versteht gar nicht, dass Poldi das nicht gleich als Antwort auf seine Postkarte versteht.

Lexi
Könnte gelegentlich sagen:
Ach, Ihr Lieben, nach der Setzung des Doppelpunkts fiel mir was zu Galy oder sonstwem ein, und das notierte ich, und nun weiß ich nicht mehr, was Lexi gelegentlich sagen könnte…

Dass er immer an der Lexiklopädie arbeitet, gefällt mir gut. Solche Motivationen geben immer reichhaltige Handlungsanstöße, allein schon das Gestörtwerden durch jederlei Besucher; es erspart auch aufwendige Expositionen.

Sein spezielles Aufräumproblem ist die Ordnung seiner immer umfangreicher werdenden Bibliothek.
(Zwischenfrage: Ob Lexi nicht irgendwann doch Zupackhände brauchen wird? Oder ist er da zu klein zu?)
Ordnet man Bücher nach Alphabet, Größe, Farbe oder Geist? Lexi hat bei aller sonstigen Entschieden- und Überlegenheit hier größte Schwierigkeiten, er nimmt allen Rat dankend entgegen:

Kasi: nach Farbe, Elvis: nach Alphabet, Nepomuk: nach Größe, aber vertikal, die kleinsten unten, die größten oben, da stürzen sie am schönsten zusammen, hahaha, Poldi zuerst die am besten, dann die weniger gut, zuletzt die, die gar nicht – na, was denn wohl?! – schmecken. “Aber Poldi, Bücher schmecken doch gar nicht!” – Poldi: “Zu was hast du sie dann?”

So gesehen können Außenstehende kaum alle Gesichtspunkte eines Lexiklopädie-Machers bei der Ordnung seiner Bibliothek abwägen.

Lexi könnte Kasis (Poldis) Postkarte zerschneiden – zum Entsetzen Kasis! – oder wird vorher bei Elvis eine Fotokopie gemacht? – oder die Wörter in der richtigen Reihenfolge sortieren. 

Zwillinge
Ob die von einem Puppenspieler geführt werden? Auf jeder Hand eine? Dann Stab-Hände-Sprache? Sprecher?

Einlinge – Zwillinge … – Sechslinge – Dreihundertvierundzwanzlinge …

Merkwürdig schwierig scheint es mir, mit diesen Damen weiterzukommen, nachdem man ihnen zum Geburtstag so heftig gratuliert hat. Was hat uns veranlasst, ihre Entstehung so sehr zu begrüßen, wenn ihre Integration in die Kommune nun so viel Mühe macht? “Unbeschreiblich weiblich” – und was weiter?

Unser großer Bruder Shakespeare hat ein Stück gefüllt mit den Irrungen zweier Zwillingspaare, gespielt von vier Schauspielern, von denen je zwei sich sicher höchst selten zum Verwechseln ähnlich sind. (Fall 1, siehe unten.)

Wir werden uns anstrengen müssen, um aus unseren Zwillingen jeweils den einen oder anderen Reiz zu schlagen:

Fall 1: Zuschauer wissen durch deutliche Merkmale in Kleidung, Haartracht oder Accessoires den Unterschied – sind also in der Exposition informiert worden – und amüsieren sich über die Unwissenheit der anderen Figuren. 

Fall 2: Auch die Zuschauer wissen nicht und werden durch ihre eigene Irreführung amüsiert. 

Die Zwillinge eignen sich sehr gut zur Demonstration des merkwürdigen Tatbestandes, dass Zwei, die sich oft nicht einig sind, sofort solidarisch werden, wenn Angriffe von außen stattfinden.  (Von ihrem Mann verprügelte Ehefrau keift gegen Einmischer, der den Mann zurechtweist: “Wat jeht Sie denn det an!”)

Ich glaube, ein Zwilling (wir sollten ihnen bald Namen geben, allerdings komische, sowas wie Gogols Bobtschinski und Dobtschinski) ist für Aufräumen, einer dagegen. Und zuweilen sehe ich eine riesige Puppenprügelei, Ordnung gegen Unordnung, die einen angeführt vom einen Zwilling, die anderen vom anderen. Vielleicht ist das auch ein großer Song mit viel Kontrapunkt.

Wo, wie wohnen die Zwillinge? Spiegelbild fällt mir ein. 

Mal folgendem Einfall nachgehen: Kasi hat einen Zwilling gerade bei sich, rennt mit Poldis unlinearer Karte zu Nepi, da ist der andere Zwilling. Kasi: “Wieso bist du denn schon hier?” … Kasi rennt zu Lexi, da ist der erste Zwilling. Kasi: “Wieso bist du denn schon hier?” Ich weiß: Hase und Igel, aber  immerhin. Wäre übrigens obiger Fall 2.

Poldi könnte das Aufräumen der Unordnung, die die Zwillinge durch ihr bloßes Erscheinen machen, so verstehen, dass er einen fressen soll.

Der aufmerksame Leser registriert: Ich schildere mehr Reaktionen der Anderen auf die Zwillinge als deren Aktionen. Da wäre noch manches zu säen.

Mit dem 
Teufelchen
habe ich noch einige Schwierigkeiten, obwohl ich doch gerade DES TEUFELS GENERAL inszeniere. Oder vielleicht deshalb.

Seit Menschengedenken plagen sich die Menschen mit dem Wesen und dem Begriff des Bösen herum. Für die Katholen gibt es Hölle, Satan, Teufel, Erb- und andere Sünde, Luther wirft ein Tintenfass nach dem Leibhaftigen, wovon der Fleck noch heute zu sehen sein soll, Nietzsche stellt sich jenseits vor, Lorenz nennt es “sogenannt”. Irgendetwas hats zu tun mit Recht, Gewissen, Schuld. Man könnte sich in kilometerlange Philosopheme und Moralogien stürzen, aber man soll ja HALLO SPENCER schreiben.

Vermutlich sind alle zwischen Teufelchen und Galy gut und böse. Das Teufelchen aber ist nur böse, kein Mephisto, der “stets das Böse will und stets das Gute schafft”.  Jedenfalls werden wir ihn nicht in diesem Goetheschen Sinne sinnieren lassen. Aber das Teufelchen in seiner Einseitigkeit, seiner absoluten Bosheit wird uns zwingen, über Gut und Böse im Menschen und nicht minder in Puppen sehr genau nachzudenken. 

Falsch wäre es wohl jedenfalls, wenn das Teufelchen gegen das Aufräumen als solches was hätte. Siehe allein die beiden Zitate am Anfang. Kein advocatus diaboli also der Kinder gegen die Eltern. Ebenso falsch wäre es nur als Anwalt der Eltern gegen die Kinder. WOLLT ihr wohl aufräumen!

Verzwickt, verzwickt!

Ich setze mal zwei Fälle gegeneinander:
Fall 1: Jemand räumt Bauklötzer in einen Kasten und – stürzt sie dann mit Wonne wieder aus dem Kasten: Konflikt im Selbstbereich.
Fall 2: Jemand räumt Bauklötzer in einen Kasten und – ein Anderer stürzt sie wieder raus: Viel dramatischerer Konflikt im Kommunikationsbereich, Aggression, Prügel im Anzug, Wut, Resignation, Sieg – Niederlage – Machtkampf.

Fall 1 taugt für Nepomuk und sein Ästhetik-Verständnis. Fall 2 taugt für die Zwillinge, aber auch für jede Zweierbegegnung. Aber der Andere könnte auch das Teufelchen sein. 

Ich komme mit diesem Gedankenzug zu keinem Ende und schneide einen anderen, auch nicht leichter verdaulichen Kuchen an: Verführt unser Teufelchen unsere Spencer-Kommunen-Mitglieder zum Bösen oder betreibt er das Böse selbst? Verführt er einen Zwillinge, den fein eingeräumten Baukasten des anderen Zwillings umzustürzen oder stürzt er selber um?

Bei all meiner wohl nicht zu überlesenden Skepsis werde ich vielleicht glücklich sein, wenn mir das Teufelchen bei der Ausarbeitung der Szenen irgendeinen Gordischen Dramaturgie-Knoten – oder auch zwei – elegant und glaubwürdig zerhaut. Aber noch etwas: Ist das Teufelchen böse, dann kann die Folge nur sein:

Galy
ist gut! Wenn man das Böse oder jedenfalls einiges Böse vom Teufelchen besorgen lässt, dann muss man fürs Gute ein Engelchen auffahren, oder runterfahren, oder einbeamen. Dass Galy nicht wie ein Engelchen aussieht, ist dabei nur von Vorteil. Dass sie von einem anderen Stern kommt, ist zweifelhaft, obwohl ich mit anderen Sternen einschlägige Kalker Erfahrungen habe. Wir müssen ja nicht sagen, dass sie vom Himmel ist, sowenig wie wir Teufelchens Zuhause als Hölle bezeichnen. Aber ein Deus ex Stanze wird Galy nun allemal.   

Mit diesem Guten wollen wir phantasievoll umgehen, will sagen: nicht moralisierend langweilig, das versteckt Aufregende am Guten wäre zu suchen. (Auf der vorherigen Seite könnte man auch noch sagen: das versteckt Langweilige am Bösen wäre zu suchen.) Vielleicht sollte man Galy nicht immer zur Lösung verworrener Zustände kommen lassen, sondern vorher, nebenher. Sie könnte zum Beispiel prophetische Aussagen machen, die nicht eintreffen, weil Teufelchen… Übrigens könnte vice versa auch Teufelchen sich in Prophetie versuchen. 

Die Sache wird schon kompliziert, wenn Claudel mit der Behauptung recht hat, dass Unordnung die Wonne der Phantasie ist, dann kann die gute Galy nicht mehr prinzipiell fürs Aufräumen sein. Wohlgemerkt: sowas kompliziertes ist ja gut!

Mir geht jetzt etwas durch den Sinn: was die Frage nach Teufelchen (dem man übrigens wie Galy einen Namen geben sollte) und Engelchen vielleicht etwas klärt:  Gut und Böse sind immer nur aus der jeweiligen Situation zu erklären. Man kann es schwerlich gut heißen, wenn der eine Zwilling den anderen mit der Nadel piekt, und Teufelchen kann da ganz gewiss seine Hörnchen im Spiele haben. Aber wenn Onkel Doktor, recht schmerzhaft auch, in die Ellbogenbeuge piekt und Gesundheit, oder gar Leben rettet, dann ist das doch was ganz Galyfeines.

Also vielleicht sollte man da gar nicht so podehlisch-grundsätzlich verfahren, sondern aus Situationen Spaß und Pointen filtern. 

Die Quietschbeus
sind beleidigt, wenn man sie Quietschbeus nennt. Aber das für den Anfang nebenbei. 

Ich höre sie den Hagoschlentawita-Song singen, oder Morgensterns Das große Lalula. Aber das auch nur nebenbei. 

Ich würde ihnen keine spezielle Dekoration zuweisen, schon gar nicht im Sinne von Behausung, höchstens ihre Revue-Wand, wie gehabt. Sie schauen immer überall mal rein. Die Wohnungslosigkeit kann ihnen sogar einen Hauch von Melancholie verleihen. 

A.M., den ich hier nun endlich für den Diebstahl am Thema AUFRÄUMEN um Vergebung bitten kann – aber das muss doch wohl sein dürfen unter uns *. A.M meint, die Quietschbeus sollten alte Noten aufräumen und durchsingen. Wenn sie nun alle, jeder mit einem Packen Noten von Spielort zu Spielort gehen müssten, weil sie überall höchst unwillkommen sind, weil überall ebenfalls aufgeräumt werden soll…

Ich sehe übrigens aus den Notenblättern einzelne Noten fallen, was das Aufräumen ganz irreal erschwert. 

Quietschbeus machen mir wenig bange.

  • Stehe zu meinem Thema auch nicht als Eigentümer, übernehme auch Themen, die dem Erfinder große Sorgen machen! 

Nepomuk
Es sei zunächst einmal festgehalten, dass er in einer sehr realistischen Umgebung haust, die ich, es sei betont, sehr schön finde: Tümpel, Schloss, knarrende Tür, vergittertes Fenster im Turm, Vordergrund, Spielleiste aus Natur-Gras. Nachdenken, inwieweit auch sonstige Behausungen realistisch oder teilrealistisch sein sollten. 

Nepomuk hat eine tiefe weltanschauliche Sperre gegen Aufräumen. Es könnte sein, dass er nicht einmal weiß, was das ist. Selbstverständlich steht er gegen Typen wie Elvis, auch Lexi, aber auch gegen Anti-Aufräumer mit Aufräum-Einsicht: Kasi, Poldi. Aufräumen ist für ihn: in den Tümpel werfen. 

“Aber das rostet doch!”
“Rost ist schön. Ich bin rostfarben!”

Er wird Unordnung ordentlich finden, schön, anregend, amüsant, “verstehst du: a-mü-sant, verstehst du ja doch nicht!” Er liebt es, zu suchen, hasst es, Sachen schnell zu finden. Sein Unordnungssinn ist stark ausgeprägt und hat Souveränität, jedenfalls niemals Nervosität, die etwa Spencer befällt. 

Poldis Brief an Kasi gefällt Nepomuk aus ästhetischen Gründen, zum Entziffern ist er nicht bereit. 

“Ich sitze am Tümpel
und bin so schrecklich mümpel.”

Er erklärt Kasi, dass er müde meint, aber das hätte sich nicht gereimt. Ihm ist Reim wichtiger, als Sinn. Kasi geht kopfschüttelnd. Nepi schläft ein. Die Zwillinge kommen vorbei und halten ihn für was Verrostetes, das sie aus Ordnungssinn in den Tümpel rollen wollen. Was das ne Reaktion von Nepomuk gibt.

Paar Einfälle
Spencer schreit: “Nein! Nein!”, wenn an einem Szenenende wieder welche ankündigen, dass sie nun zu Spencer gehen, um ihm beim Aufräumen zu helfen. 

Insgesamt ist das eine kleine Gemeinde von Puppen, Einwohner eines Puppen-Worpswede, die ihren Tätigkeiten nachgehen. 

Ganz wichtig: Aufräumen ist eine widerwärtige, ganz und gar erwachsene Unterbrechung oder gar Beendigung des Spielens! Aufräumen ist rundweg erwachsen! Kind würde ohne Unterbrechung spielen. Unsere Puppen sind Kinderbilder und müssten im Grunde immer was gegen Aufräumen haben. Ausnahme Elvis, bestenfalls Lexi. Es sei zugestanden, dass Kinder in Vernunftsphasen Einsicht ins Aufräumen haben können. Dennoch: Aufräumen ist Vertreibung aus dem Paradies!

Ein-, ab-, auf-, weg-, aus-räumen…
Aufräumen müssen – dürfen – können – sollen…
Zwischenräume, Räumfahrzeuge, Räumungsklage, Räumungsverkauf.

Essordnung umwerfen: erst Dessert, dann Braten, dann Suppe. Die Chinesen essen die Suppe immer zuletzt. Na also.

Kasi schreit: “Das geht schief!”
Lexi geht schief.

Unfrisierter Schlussakkord
Dem Vorangeschriebenen ist ja noch wenig Szenisches, Dramaturgisches zu entnehmen. Aber ich halte alle diese Klärungen für wichtig und nötig. Die Sache mit Poldis Karte an Kasi, der/die damit über Nepi zu Kasi muss, weist darauf hin, dass die Kästchen-Dramaturgie sehr aufgelockert wird, was ich für gut halte. Auch der Quietschbeus-Einfall weist in solche Richtung.

Nicht etwa, dass eine Sendung mit kontinuierlicher Handlung im Sinne von Fernsehspiel oder -film entstünde (dann bräuchten wir keinen Moderator), aber das Gewebe dieser Kommune, dieser großen Familie sollte doch nicht nur ein zusammengenähter Fleckerlteppich sein.

Ende.

© Peter Podehl

Spencers Enkelgeschichten

Peter Podehl, der Spencer-Geschichtenerzähler

Peter Podehls Drehbücher
und seine Aufzeichnungen hierzu

Die Drehbücher eines Komikers
Grundsatzanweisungen an die Puppenspieler – zu den Folgen “Viele Wünsche”, “Gummibärchen-Transporte”, “Großes Aufräumen” und “Einsamkeit” und alle anderen Folgen
September 1980

Zu den Drehbüchern eines Komikers
von SpencerEnkel Jannik Graf – der weiß viel

Mut zur Arbeit
erste Aufzeichnungen zu den Folgen “Gesundheit” und “Galy und die Katastrophe”
Januar 1981

SpencerEnkel Maxens Gedanken zu Podehls Gedanken
von SpencerEnkel Max zu Podehls ersten Aufzeichnungen zu den Folgen “Gesundheit” und “Galy und die Katastrophe”

Der Sprachaufpasser fürs Deutsche und Puppenpoesie
Peter Podehls Präsentation
an der Dolmetscher- und Übersetzer-Universität S.Pio V in Rom
von 2006
Da gibt’s viel Wortspielereien und auch einen Bericht darüber, mit wem er die Folgen absprach, bevor er sie schrieb.

Wie alles anfing:
Lorenz Claussen berichtet vom TamS-Theater-Quatsch

Die Puppenspieler berichten

Klaus Naeve berichtet, wie Spencer von Charlotte gestreichelt wurde

Armin Maiwald erzählt die 
Sache mit dem Du und “Macht doch, was ihr wollt”

Die SpencerEnkel stellen sich vor:

SpencerEnkel Maxi mit Knut Fingerhut

Der SpencerEnkel Janni

SpencerEnkel Sven